Impulstagung zur Neutralitätspolitik in Bern: Veranstaltung gegen die Neutralitätsinitiative

Trotz prominenter Redner und aufwändigem Programm blieb die «Impulstagung zur Neutralitätspolitik» des Schweizerischen Friedensrates am 18. Mai in Bern schwach besucht.

Statt einer ausgewogenen Debatte bot die Veranstaltung vor allem ein einseitiges Meinungsbild gegen die Neutralitätsinitiative – und offenbarte zugleich tiefe Gräben unter deren Gegnern.

Auf dem Programm der «Impulstagung zur Neutralitätspolitik – Was auf dem Spiel steht» vom Sonntag, 18. Mai, des Schweizerischen Friedensrates standen eine Key Note, eine Podiumsdiskussion, verschiedene Gruppendiskussionen und ein Abschlussreferat.

Was sofort auffiel, war die geringe Anzahl der Besucher – das Programm zog also nicht. War es das schöne Wetter, das die Interessierten nicht in der gebotenen Zahl den fensterlosen aber sehr schönen Raum im Bernischen Historischen Museum bevölkern liess? Oder war es vielleicht die einseitigen Zusammensetzung des Panels, die nicht zog?

Was nebst der einseitigen Zusammenfassung des Panels auffiel, ist die Tatsache, dass die Organisatoren betonten, es handle sich um eine «vielstimmige, aber nicht kontradiktorische» Veranstaltung.

Die Keynote von Flavia von Meiss, Leiterin Sektion Völkerrecht im Schweizer Aussenministerium (EDA) kann man kurz so zusammenfassen: Der Bundesrat, die Schweizer Landesregierung steht zur Neutralität und fühlt sich an das Neutralitätsrecht gebunden, will aber keine darüberhinausgehende verfassungsmässige Einschränkungen. Sie gab freimütig zu, dass die Schweizer Neutralität in der Verwaltung nicht unumstritten sei, dass aber die Federführung bei ihrer Direktion liege. Das heisst: das Neutralitätsrecht wird entsprechend gewürdigt.

Aber daneben gibt es auch die Neutralitätspolitik, wo sich der Bundesrat nicht einschränken lassen will. Von Meiss betonte auch, dass die Neutralität schon heute in der Bundesverfassung erwähnt sei und dass eine Abkehr davon in einer Volksabstimmung beschlossen werden müsse.

Der Bundesrat sehe keinen Handlungsbedarf. Vieles sei durch das Neutralitätsrecht abgedeckt und die heute gültige Bundesverfassung abgedeckt. Der Bundesrat sei vom Wert der Neutralität überzeugt.

Warum lehnt er die Neutralitätsinitiative, über die Volk und Stände im März oder Juni 2026 abstimmen, ab?

Die Neutralitätsinitiative umfasst vier Abschnitte:

Der erste Abschnitt sei überflüssig, weil das schon heute in der Verfassung und neutralitätsrechtlich geregelt sei.

Der zweite und der dritte Abschnitt seien problematisch, weil der Bundesrat keine weiteren Einschränkungen, die über das Neutralitätsrecht hinausgehen, wolle, weder in der Zusammenarbeit mit Bündnisse wie der Nato (zweiter Abschnitt), noch bei den Sanktionen (dritter Abschnitt). 

Die anschliessende Podiumsdiskussion hatte es in sich. Wenn sie etwas zeigte, dann, dass es auch unter den Gegnern der Neutralitätsinitiative ein grosses Meinungsspektrum und erhebliche Meinungsverschiedenheiten gab.

Auf der einen Seite waren der Diplomat Günther Baechler und Ständerätin Franziska Roth (SP/Solothurn) die die Neutralität als obsolet erachten.

«Neutralität gehört ins Mausoleum,» behauptete Baechler in Anspielung auf den Museumsraum.

Über 90% der Menschen seien gemäss Umfragen für die Neutralität, aber wenn es um die Details gehe, dann würde es schwierig, sagte Tagungsleiter Ivo Mijnssen. Viele Menschen würden dann sagen: «Findet eine Lösung, damit wir Waffen in die Ukraine schicken können,» ergänzte Roth. Auch bei Jungen sei das Thema Neutralität sehr präsent.

Roth behauptete ausserdem, dass die Haager Landkriegsordnung, die das Neutralitätsrecht kodifiziert hat, nicht mehr gültig sei und die UN-Charta darüberstehen würde. Man hört diese Falschinformation immer wieder – auch in diesem inhaltlich schwachen Votum von Ständerätin Roth – aber das wurde dann umgehend von Odile Ammann, Professorin an der Universität Lausanne, korrigiert.  

Die Schweiz würde hin und wieder in Erklärungsnot geraten, führte die Völkerrechtlerin aus. Aber das Neutralitätsrecht gebe es, es sei nicht wegzureden und gar nicht obsolet. Die alten Konventionen wie die Haager Landkriegsordnung seien weiterhin in Kraft, aber es gäbe auch ein Völkergewohnheitsrecht. Ein Abrücken der Schweiz von der Neutralität würde eine Volksabstimmung bedingen, machte Ammann deutlich. Sie lieferte dann auch in wenigen Sätze ein Konzentrat dessen, was Neutralität ausmacht. Neutral sein heisst, militärisch nicht für eine Seite Partei zu ergreifen. Das Neutralitätsrecht verlange aber keine «Gesinnungsneutralität» – selbstverständlich dürfe man politisch Stellung nehmen.

Neutralität – so Ammann – sei ein Mittel zum Zweck. Sie plädierte für Ablehnung der Initiative, um weiterhin «eine pragmatische Neutralitätspolitik» ausüben zu können. Skyshield sei zum Beispiel unproblematisch, solange es keine Beistandspflicht gäbe. Waffen an Kriegsführende liefern dürfe man nicht und die Neutralitätspolitik müsse auf dem Neutralitätsrecht ruhen. Auch private Waffenlieferungen aus der Schweiz an Kriegführende sieht sie kritisch.

In der Neutralitätspolitik sei die Glaubwürdigkeit zentral. Wenn der Verdacht bestünde, dass die Schweiz nur Eigeninteressen schützt, dann sei dies problematisch. Und im Moment könne effektiv der Eindruck entstehen, dass wirtschaftliche Interessen die Oberhand gewännen.

In der Tat enthüllte der Altbundesrat und SVP-Stratege Christoph Blocher vor Kurzem, dass die Schweiz in Sachen Sanktionen unter dem Druck der Grossbanken kippte und diese nicht aus eigenem Antrieb mit vollzog.  

Baechler, der der Neutralität lieber heute als morgen abschwören möchte, sprach aber über die interessante Beobachtung, dass zunehmend «illiberale Vermittler» aufträten und als Akteure gefragt seien. Er meinte damit zum Beispiel Doha oder die Türkei. Die eigentlich naheliegende Schlussfolgerung, dass dies mit der Tatsache zusammenhängen könnte, dass die Schweiz durch ihre Politik der letzten Jahre zunehmend mit einer Kriegspartei identifiziert wird, zog er nicht. Am Schluss sah er dann noch grosse russische Kriegsgefahr für Westeuropa.

Eine sehr differenzierte und weiterführende Position zur Neutralitätspolitik vertrat Laurent Goetschel (swisspeace/Universität Basel), aber auch er konnte sich letztlich nicht für die Initiative erwärmen.

Goetschel stellte zum Beispiel fest, dass der globale Süden ganz andere Probleme habe als den Krieg in der Ukraine.

Das Manifest 21, das letztes Jahr als Reaktion auf die Neutralitätsinitiative von EU-freundlichen Kreisen in der Schweiz lanciert wurde, geisselte Goetschel mit klaren Worten und bezeichnete dieses sogar als «Unsinn». Er bezichtigte die Initianten dieses Manifestes der extrem parteiischen Handhabung der Neutralität und als heuchlerisch. Er warnte zusätzlich davor, aus dem Einzelfall Ukraine heraus alles neutralitätspolitisch Erreichte zu kippen.

Roth hingegen unterstellte den Initianten, insbesondere dem Präsidenten des Initiativkomitees, Altnationalrat Walter Wobmann (SVP/SO), es ginge ihnen nur darum, unter dem Deckmantel der Neutralität und dem entsprechenden Mythos Geschäfte zu machen.

Damit waren die Fronten klar abgesteckt. Einerseits Roth und Baechler, die sich lieber heute als Morgen von der Neutralität verabschieden möchten und das Neutralitätsrecht als überholt betrachten, andererseits Goetschel und Ammann, die das Neutralitätsrecht als durchaus gültig und relevant bezeichnen, die Neutralitätspolitik aber flexibel handhaben möchten. Ihnen ist der Initiativtext zu einschränkend, obwohl sie sich zur Neutralität bekennen.

Drittens bekennt sich der Bundesrat zu Neutralität und weiss, dass es für die Abkehr von diesem bewährten Instrument der Aussenpolitik einer Volksabstimmung bedarf.

Man kann die Veranstaltung als Mogelpackung bezeichnen, weil die Webseite und Einladung als Diskussionsforum daherkam, aber keine einzige Person eingeladen wurde, die die Initiative befürwortet. In Tat und Wahrheit war es eine Veranstaltung gegen die Initiative. Das wird auch dadurch klar, dass am Schluss der Referate keine Publikumsvoten zugelassen wurden. Es zeigt sich auch daran, dass die Moderation der vier Gesprächstische am Nachmittag ausnahmslos mit Vertretern des Think Tanks Foraus zusammengesetzt waren.

Alle diese Punkte entsprechen nicht dem in der Schweizer bewährten Grundsatz «audiatur et altera pars» und wirken alles andere als liberal.

Allerdings scheint das Kalkül der Veranstalter nicht aufgegangen zu sein, denn die Tagung hat wohl trotz aufwändiger Aufmachung nicht die grossen Erwartungen eingelöst, welche die aufwendige Website versprach.

Auf deren anderen Seite war sie hochinteressant, denn sie erlaubte einen Blick in das Denken der Gegner der Initiative und zeigte deutlich, dass es sich bei der ablehnenden Seite nicht um eine Einheitsfront handelt und es dort ganz unterschiedliche Meinungen gibt.

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