Diagnose Geschichtsvergessenheit

Der Geschichtsunterricht an Schweizer Gymnasien ist verkümmert und wurde ideologisiert – mit gefährlichen Folgen für die Schweizer Neutralität und das politische Urteilsvermögen einer ganzen Generation.

Die Themen, die im (Schweizer) Gymnasium im Geschichtsunterricht behandelt werden sind zum Beispiel:

Die Familie in der Antike und heute, Politische Argumente zum Frauenstimmrecht, Kolonialaufteilung Afrikas, Holocaust, Imperialismus, der Sonderbundskrieg, die Wohlstandsgesellschaft der Nachkriegszeit, die Ursprünge von 1968, die Berner Studentenbewegung, der Weg in den Ersten Weltkrieg, der Erste Weltkrieg, die Bürgerrechtsbewegung und Martin Luther King, gesellschaftliche Veränderungen nach 1945 am Beispiel Schweiz. Die Geschichte der Schweizer Neutralität kommt nicht vor.

Drei Sachen fallen auf: der Unterricht ist erstens themenorientiert. Eine Orientierung auf der Zeitachse ist so für die Schüler nicht möglich. Zweitens werden praktisch nur noch Themen aus dem 20. Jahrhundert behandelt, hin und wieder noch etwas aus dem 19. Die Zeit vor der französischen Revolution interessiert praktisch nicht mehr. Und drittens zeigt schon die Themenauswahl einen klaren politischen Dreh und Hintergedanken.

Als ich zur Schule ging, war es umgekehrt. Es fand gründlicher Geschichtsunterricht statt, der aber kaum je über die Zeit des Ersten Weltkrieges hinausreichte. Die Folgen zeigen sich heute. Das macht die Menschen manipulierbar. Zum Mitschreiben:

In Europa hat seit dem Einfall der Schweden im 30-jährigen Krieg jeder Hegemonieversuch, sei es durch Napoleon, oder im 2. Weltkrieg durch Deutschland. in der Katastrophe geendet. Zusätzlich war eine stabile Sicherheitsarchitektur wie am Wiener Kongress ohne Mitarbeit Russlands nie möglich. Wird Europa weiterhin am Rockzipfel der USA deren Hegemonieversuch unterstützen, dann könnte sich dies aufs Neue rächen.

Leider hat es die Regierung Biden geschafft, Europa in diesen Hegemonieversuch hineinzuziehen. Jetzt wo die USA abrupt ihre Politik geändert haben, versuchen führende europäische Länder, diesen Politikwechsel durch die sogenannte «Koalition der Willigen» zu sabotieren. Eine solche Politik kann nur entstehen, wenn noch andere Interessen im Spiel sind oder aus einer Geschichtsvergessenheit, die seinesgleichen sucht.

Europa hat prosperiert, wenn es gelang, ein Gleichgewicht zu schaffen. Es lohnt sich, dauerhafte Friedensordnungen wie diejenigen von Münster und Osnabrück (1648), Wien (1815) oder Paris (1919) zu studieren. Diese basierten auf einem Gleichgewicht. Auch im Kalten Krieg bestand eine Art Gleichgewicht und ein gewisser gegenseitiger Respekt.

Kollektive Sicherheit – die Ideen wurde 1917 vom amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson lanciert – würde funktionieren, wenn das gemeinsam erschaffene Völkerreicht nicht durch eine sogenannte «regelbasierte Weltordnung», bei der ein Hegemon die Regeln erlässt, wie es ihm beliebt, ausgehebelt, sondern gegenüber allen durchgesetzt wird.

In jeder dauerhaften Friedensordnung hatte die Schweiz ihren Platz. Und immer war dies in Form der Neutralität. Nur als die Schweiz nach dem Franzoseneinfall (1798) gezwungen wurde, beim Hegemonieversuch Napoleons mitzumachen, wurden Schweizer Truppen unfreiwillig in die Grande Armée eingezogen. Nur ein kleiner Teil kehrte zurück. Geschichten über das Schicksal der Schweizer Truppen sind ins kollektive Gedächtnis der Schweiz eingedrungen. Werke von literarischem Wert wie der Mundartroman «Niklaus und Anna» von Werner Marti (neueren Datums) und der ebenso berndeutsche Roman «Der Houpme Lombach» von Rudolf von Tavel (älteren Datums) künden vom Schicksal und Leiden der Schweizer Truppen in Russland.

Das Mitmachen bei einem Hegemonieversuch würde auch heute nicht funktionieren und vielleicht wieder in der Katastrophe enden. Auch in der heutigen weltpolitischen Situation ist also eine glaubwürdige Neutralität für die Schweiz entschieden richtig.

Die Geschichtsvergessenheit, die sich aus der fehlgeleiteten Geschichtsdidaktik speist, bietet für die Politik den Grund, von einer allgemein anerkannten Neutralitätspolitik Schritt für Schritt abzurücken. Dem müssen wir entgegenhalten.  

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