Bundesrat Walther Stampfli (FdP/SO) wurde von den Nazis erpresst, aber er hielt – mit Kompromissen – stand
Sicherheitspolitiker im Ständerat fordern eine Lockerung der Exportbeschränkungen, um auch Staaten beliefern zu können, die sich in bewaffneten Konflikten befinden (Details hier). Die Idee widerspricht dem Neutralitätsrecht.
Als im Jahr 1940 Frankreich vor Deutschland kapitulierte, war die Schweiz durch die Achsenmächte praktisch eingeschlossen. Es gab bei Genf zwar noch eine einspurige Eisenbahnlinie ins unbesetzte Frankreich, aber im Prinzip konnten die Achsenmächte die Schweiz wirtschaftlich strangulieren.
Durch einen Kohleboykott gegenüber der Schweiz ließen die Nazis im Juni 1940 ihre Muskeln spielen. Es kam dann zu Wirtschaftsverhandlungen. Der neue Wirtschaftsminister, Bundesrat Walther Stampfli, konnte aber auch einige Trümpfe in die Waagschale werfen. Die Schweiz hatte einen funktionierenden, internationalen Finanzplatz und intakte Produktionskapazitäten. Das Land war neutral, konnte vermitteln und es verfügte über leistungsfähige Alpentransversalen, die es aber bei Bedarf sperren oder sprengen könnte.
Die Lösung: Deutschland lieferte wieder Kohle, Eisen und Erdöl und verpflichtete sich, den Handel der Schweiz mit den Alliierten zuzulassen. Die Schweiz lieferte weiterhin verarbeitete Industrieprodukte – auch Waffen! – und garantierte die Offenhaltung der Alpentransversalen. Die Eidgenossenschaft verpflichtete sich, an die Alliierten keine Waffen zu liefern (was sie dann in beschränktem Umfang und im Geheimen gleichwohl tat).
Das Ergebnis ist ein klassischer Kompromiss, der in hartem Ringen zustande kam. Jede Forderung Deutschlands konterte Stampfli mit einer Gegenforderung. Es ist aktenkundig, dass Stampfli die deutsche Delegation zu sich rief, wenn es nicht vorwärts ging, und man seine Stimme auch durch verschlossene Türen hörte.
Es ist richtig, dass die Schweiz damit das Neutralitätsrecht verletzte. Sie lieferte an kriegführende Länder und verpflichtete sich, die gleiche Dienstleistung der anderen Seite vorzuenthalten. Allerdings handelte sie dabei aus purer Not.
Die Alternative wäre eine völlige wirtschaftliche Abschnürung gewesen. Gerade Stampfli befürchtete für diesen Fall Unruhen und die Möglichkeit, dass die Schweizer Bevölkerung, die den Nazis überwiegend ablehnend gegenüberstand, dann einknickte. Man kann deshalb verstehen, dass Stampfli so gehandelt hat.
Heute ist die Situation anders. Es besteht keine Notwendigkeit, das Kriegsmaterialgesetz zu ändern. Es mag Druck aus dem Ausland geben, aber es drohen nicht die Gefahren, die 1940 drohten. Der Druck und die Hebel auf die Schweiz sind nicht vergleichbar mit der Situation vom Sommer 1940. Dass die Rüstungsindustrie eine Liberalisierung befürwortet, kann man nachvollziehen, aber der Bundesrat muss im Landesinteresse handeln.
Es wird interessant sein, zu beobachten, wie sich der neue Verteidigungsminister,Bundesrat Martin Pfister, in dieser Sache positioniert. Er täte gut daran, sich für die Neutralität und damit für eine Ablehnung der Vorlage einzusetzen. Erst wenn die Schweiz wieder als neutral wahrgenommen wird, kann sie wieder als Vermittlerin agieren und ihre guten Dienste anbieten.
Es geht nicht darum, eine egoistische Form der Neutralität zu propagieren, sondern eine der Welt zugewandte Form, bei der die Schweiz nicht nur ein Anhängsel der NATO ist, sondern eine eigene, positive Rolle spielt.
Gerade linksgrüne Kreise haben sich aus einer verantwortungsethischen Haltung heraus in der Nachkriegszeit für strikte Kriegsmaterialgesetze eingesetzt. Seit Februar 2022 haben sie nichts mehr gegen die Lockerung dieser Gesetze. Von Neutralitätsrecht, Neutralitätspolitik und der Geschichte der Schweizer Neutralität scheinen sie nicht viel zu verstehen.
2 Antworten
Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler.
Ingeborg Bachmann