Nach Diskussion in zwei Kommissionen lehnt der Ständerat die Neutralitätsinitiative ab, doch der Gegenvorschlag – mit einem abgeschwächten Neutralitätsverständnis – könnte auch zur Abstimmung kommen.
Gleich zwei Kommissionen des Ständerates haben sich mit der Neutralitätsinitiative (NI) befasst. Die Sicherheitspolitische Kommission (SiK-S) diskutierte nicht lange, orientierte sich eng an der Botschaft des Bundesrates und lehnte die Initiative deutlich ohne Gegenvorschlag ab.
Die Aussenpolitische Kommission (APK-S) nahm die Sache ernster. Sie verschob die Abstimmung zur NI insgesamt dreimal, diskutierte die Vorlage offenbar intensiv, holte Expertenstimmen ein und studierte zahlreiche Quellen zur Schweizer Neutralität. Ein solcher Umgang mit einem Anliegen aus der Bevölkerung, und nicht wie oft fälschlicherweise geschrieben wird aus einer Parteizentrale, ist ein hervorragendes Beispiel der Vorwirkung der direkten Demokratie. Eine Initiative löst Debatten aus und ein grundsätzliches Nachdenken setzt ein. Dazu gehörte in der APK-S auch, dass man neben der Initiative einen direkten Gegenvorschlag diskutierte. Beides wurde schliesslich abgelehnt, aber nun war ein gutes Fundament für eine möglichst sachliche Debatte im Ständerat gelegt.
Der Ständerat diskutierte dann auch die NI drei Stunden lang. Die Voten der Ständerätinnen und Ständeräte bewegten sich auf unterschiedlichen inhaltlichen Niveaus. Insgesamt wurde das Anliegen aber ernsthaft diskutiert, ebenso der direkte Gegenvorschlag, den die APK-S eingebracht und dann verworfen hatte. Die NI wurde schliesslich abgelehnt, der direkte Gegenvorschlag aber kam durch. Die Bundesverfassung soll danach wie folgt geändert werden:
«Art. 54a Schweizerische Neutralität
1 Die Schweiz ist neutral. Ihre Neutralität ist immerwährend und bewaffnet.
2 Der Bund nutzt die Neutralität, um die Unabhängigkeit und Sicherheit der Schweiz zu gewährleisten, Konflikte zu verhindern oder zur Lösung von Konflikten beizutragen. Er steht als Vermittler zur Verfügung.»
Der erste Abschnitt lautet gleich wie bei der NI. Die folgenden zwei Abschnitte der NI werden gestrichen. Der vierte Abschnitt der NI wird ebenfalls übernommen und sogar noch ergänzt. Die NI formuliert im 4. Abschnitt lediglich: «Die Schweiz nutzt ihre immerwährende Neutralität für die Verhinderung und Lösung von Konflikten und steht als Vermittlerin zur Verfügung.» Die Ergänzung des Gegenvorschlages mit der Betonung der Schutzwirkung der Neutralität für die Unabhängigkeit und Sicherheit der Schweiz ist ein wichtiger Zusatz. Diese Ergänzung wiegt aber die beiden gestrichenen Abschnitte keineswegs auf!
Die weggelassenen Abschnitte zwei und drei beinhalten unerlässliche Forderungen, um die Schweizer Neutralität klarer zu definieren. In Abschnitt zwei wird festgehalten, dass die Schweiz keinem Militär- oder Verteidigungsbündnis beitreten soll. In Abschnitt 3 wird der Grundsatz formuliert, dass sich die Schweiz nicht an militärischen Auseinandersetzungen zwischen Drittstaaten beteiligen und ausserdem auch keine nicht-militärischen Zwangsmassnahmen gegen kriegführende Staaten treffen darf. Diese Aspekte sind grundlegend für eine integrale und umfassende Neutralität, wie sie in der eidgenössischen Bundesverfassung verankert werden muss. Nur wenn die Schweiz sich nicht weiter der Nato annähert und auch keine Wirtschaftssanktionen mehr mitträgt, wird sie wieder als ein neutrales Land angesehen werden.
Es liegt nun am Nationalrat während der kommenden Herbstsession vom 8. bis 26. September über die Initiative und den Gegenvorschlag zu befinden. Falls auch der Nationalrat dem direkten Gegenvorschlag zustimmt, kommt beides zur Abstimmung. Allerdings nur wenn das Komitee der NI, das aus 27 Personen besteht, die Initiative nicht zurückzieht. Klar muss sein, dass nur mit den vier Abschnitten der NI die Schweizer Neutralität glaubwürdig in der Bundesverfassung verankert werden kann. Damit wird es der Schweiz wieder möglich, sich vollumfänglich für den Frieden auf der Welt einzusetzen und als Vermittlerin tätig zu werden. Auch vermögen wir so am besten und nachhaltigsten die Guten Dienste der Schweiz und das IKRK zu unterstützen.
*René Roca ist Gymnasiallehrer und promovierter Historiker. Er gründete und leitet das Forschungsinstitut direkte Demokratie (www.fidd.ch).