Max Dätwyler zog mit weißer Fahne für den Frieden durch die Welt – belächelt, verkannt, aber unbeirrbar. Sein Mut mahnt: Wer schweigt, wenn Krieg herrscht, macht sich mitschuldig. Von Ursula Felber.
Frieden geht alle etwas an und jeder kann den Samen des Friedens säen. Die wenigsten Menschen finden Gewalt gut, aber wer sich für den Frieden in Zeiten des Krieges einsetzt, hat einen schweren Stand. Schnell gerät man in Verdacht weltfremd zu sein oder sich auf die falsche Seite zu schlagen.
Angesichts der heutigen Weltlage ist es angebracht, den Schweizer Max Dätwyler (1886 – 1976) in Erinnerung zu rufen. Ein Leben lang wollte er die Mächtigen der Welt zum Frieden bewegen. Mit ganzem Engagement, viel Humor, unkonventionellen Ideen und Beharrlichkeit setzte er sich für den Weltfrieden ein. In seinem langen, schwarzen Mantel, dem Hut auf dem Kopf, der Aktentasche unter dem Arm und der weißen Fahne in der Hand marschierte er von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. So kannte ihn in den 1950er und 1960er jedes Kind.
Er wurde eher abschätzig Friedensapostel genannt. Dätwyler trat in Ost- und Westberlin auf, stand auf dem Roten Platz in Moskau, demonstrierte in Paris gegen den Algerienkrieg, wollte im Capitol in Washington Kennedy treffen, warb für ein neutrales Kuba, trat in London, Kairo und Jerusalem auf. Nirgends wurde er empfangen. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, sich unaufhörlich für den Weltfrieden einzustehen. Getragen von dieser Überzeugung fand er auch immer wieder Wege, um auf sich aufmerksam zu machen.
Bei der Mobilmachung im Jahr 1914 verweigerte Max Dätwyler den Fahneneid aus Protest gegen den Krieg. Daraufhin wurde er in die Psychiatrie eingewiesen und aus der Armee ausgeschlossen. Nach seiner Entlassung gründete er 1915 in Bern den Verein Friedensarmee. Eine Armee zur Volksbildung.
1932 marschierte er von Zürich nach Genf. Er wollte an der Abrüstungskonferenz des Völkerbundes teilnehmen, erhielt jedoch keinen Einlass. Ab dem 2. Weltkrieg war die weiße Fahne sein ständiger Begleiter. 1962 gründete er eine neue Genfer Konvention und forderte zur atomaren Abrüstung auf. Max Dätwyler reiste in die Machtzentren und Krisenherde der Welt und trat für den Weltfrieden und die Abrüstung ein. So wurde er als Friedensapostel mit der weißen Fahne zu einer weltbekannten Symbolfigur des Pazifismus.
Die meisten Zeitgenossen hielten ihn für einen weltfremden Spinner und Sonderling. Er wurde geächtet, psychiatriert, verhaftet. Mehrere Male wollten ihn die Behörden entmündigen. Dank seiner Weigerung und einem positiven Gutachten seiner Heimatgemeinde Zumikon kam es jedoch nie dazu.
Max Dätwyler war ein überzeugter Christ und Schweizer. Er wollte das Staatsmodell Schweiz als Grundlage für ein friedliches Zusammenleben in die Welt hinaustragen. Die Schweiz, das Land mit dem Gründer des Roten Kreuzes, das Land mit der ältesten Neutralität.
Europa rüstet auf und die Welt ist nicht besser geworden. Die Menschenrechte, das humanitäre Völkerrecht, das UN-Gewaltverbot werden missachtet. Alle Errungenschaften, das Recht über die Gewalt zu setzen, werden heute mit Füßen getreten.
Heute steht die Schweiz am Scheideweg und das Land muss sich entscheiden zwischen Neutralität und NATO; beides geht nicht zusammen. Die Neutralitätsinitiative schafft die Voraussetzungen, um unabhängig zu sein und um das Vertrauen der Welt zu gewinnen.
Obwohl der direkte Einfluss auf die Mächtigen begrenzt ist, kann jeder Einzelne auf den Schrecken des Krieges aufmerksam machen, für den Dialog einstehen und so einen Denkimpuls geben. Max Dätwyler hat man belächelt. Mit seinem Mut und seiner Gradlinigkeit ist er für uns ein Vorbild. Und die Frage bleibt, wäre ich, wärst du, wäre die Welt nicht ärmer, wenn keiner mehr die weiße Fahne tragen würde?
Die Autorin dieses Artikels ist Mitglied der Bewegung für Neutralität.