Der alt Bundesrat und SVP-Stratege über die Sanktionen gegen Russland und die Bedeutung der Neutralität im Wirtschaftskrieg

Neutralität wird vor allem militärisch verstanden, hat aber, wie sich jetzt zeigt, auch eine wirtschaftliche Komponente. Wie sehen Sie das?
Dr. Christoph Blocher: Ich habe erst jetzt festgestellt, wie wichtig es für unsere internationalen Kunden ist, dass wir aus einem neutralen Staat liefern. Sie sagen: Bei euch waren wir bis jetzt sicher, dass ihr nicht einmal auf Seiten der USA standen, dann für die Russen oder für die Chinesen, sondern ihr seid streng neutral, bewaffnet und auch nicht für nicht-militärische Kampfmassnahmen. Das Letzte ist besonders wichtig. Man muss sehen, dass die USA einen Krieg nicht mehr mit der Armee führt, sondern mit nicht-militärischen Massnahmen, vor allem mit Wirtschafts-Boykotten. Jetzt haben wir einen Krieg zwischen den USA und China. 140 Prozent Zölle bedeutet, dass man nicht mehr liefern kann. Da ist es wichtig, dass wir nicht Partei nehmen. Die Menschen haben Angst vor Unternehmen, die Partei ergreifen. Das ist auch wirtschaftlich wichtig für uns als Kleinstaat. Ich bin überzeugt: Wenn wir die traditionelle, vollständige Neutralität aufgeben, sind wir niemand mehr auf der Welt und nicht mehr von Interesse.
Es gibt Vermutungen, dass wir Ende Februar 2022 wirtschaftlich unter Druck gesetzt wurden, die Neutralität aufzugeben. Was wissen Sie darüber?
Wir haben die Sanktionen ergriffen, weil wir dem Druck der USA nachgegeben haben, die uns gesagt haben, wir müssten mitmachen. Das war natürlich noch die Regierung Biden. Da sind wir innerhalb einer Woche gekippt – unter dem Druck der Grossbanken. Sie sagten uns, wenn wir uns nicht beteiligten, würden die USA uns mit der Währung unter Druck setzen und aus dem Dollar werfen. Die Grossbanken hätten genausogut sagen können: Wir machen das, wenn die Amerikaner darauf bestehen, aber nicht noch den Staat hineinziehen. Sie hätten den russischen Oligarchen sagen müssen, dass sie keine Geschäfte mehr mit ihnen machen könnten, weil sie sonst die USA verlören. Stattdessen haben sie den Staat hineingezogen. Jetzt können sie den Oligarchen sagen: Wir würden gerne noch mit euch geschäften, aber der Staat verbietet es uns. Darum dürfen wir uns nie unter Druck setzen lassen. Darum die Neutralitätsinitiative, damit man nicht einfach ein Hinundher machen kann.
55 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sind gemäss einer ETH-Studie von 2023 für die Annäherung an die Nato. Wenn die Abstimmung zur Neutralitätsinitiative zu einer Frage der Annäherung wird, geht die Abstimmung veerloren. Was sagen Sie dazu?
Wir müssen aufdecken, was Annäherung bedeutet. Ich habe nichts dagegen, wenn wir uns irgendetwas annähern. Wir können uns den USA annähern, wir können uns China annähern, wir können uns auch der Nato annähern. Aber wir dürfen uns nicht binden. Darum verwenden sie diese Wörter. Sie wissen schon, warum sie nicht von einem Rahmenvertrag sprechen, bei dem dann die EU die Richtung vorgibt. Sie fragen lieber: Wollt ihr auch stabile Verhältnisse mit der EU? Da wäre auch ich dafür. Das sind die gefährlichen Dinge. Und bei der Neutralität wird es sehr gefährlich. Sie sagen zwar, wir seien nach wie neutral, aber müssten flexibel sein. Das ist gefährlich.
Die Fragen stelle Christoph Pfluger
2 Antworten
Ganz tolles Interview!
Christoph Blocher kenne ich seit 2013 persönlich und bin sehr froh um ihn, er ist in seinem Alter immer noch „hell wach“! Hätten wir ihn nicht, wären wir heute Mitglied der EU, mit allen negativen Folgen, das müssen wir mit allen Mitteln verhindern. Wir müssen neutral bleiben, keinen Unterwerfungsvertrag unterschreiben, uns nicht überall einmischen, nicht überall dabei sein, dann sind wir nicht mehr neutral, dann sind wir „Partei“!