Neutralität am Abgrund: Wie der Trump-Deal die Schweiz in ein geopolitisches Minenfeld zwingt

Der Trump-Deal wirkt wie ein stiller Angriff auf die Neutralität. Die Schweiz riskiert, zum Vollstrecker fremder Sanktionen zu werden.

Swatch-Chef Nick Hayek hat das Foto aus dem Oval Office als «Dokumentation des Kniefalls» bezeichnet – eine drastische Diagnose. Doch wer die offiziellen Texte zum sogenannten «historischen» Trump-Schweiz-Deal liest, erkennt: Hayek kritisiert nur die Oberfläche. Unter der höflichen Diplomatie liegt ein Paket, das die Schweizer Neutralität substanziell untergräbt.

Die Schweiz, ein Land, das sich jahrzehntelang auf seine aussenpolitische Unabhängigkeit berufen konnte, hat sich in Washington nicht nur mit Gastgeschenken eingeführt. Sie hat eine neue Abhängigkeit akzeptiert – und zwar ausgerechnet im empfindlichsten Bereich ihrer Staatsidentität.

Infosperber-Analyse: Das verdrängte Beben im neutralen Fundament

Der Infosperber hat die «Gemeinsame Erklärung» und das vom Weissen Haus publizierte «Swiss Fact Sheet» verglichen. Die Differenzen sind nicht nur sprachliche Nuancen – sie sind politischer Sprengstoff.

Während die Schweizer Version von «Absichten» spricht, liest sich das US-Papier wie eine Liste von Verpflichtungen. Und jene, die die Neutralität betreffen, sind die gefährlichsten:

1. Sanktionen: Ein Schleichpfad in fremde Konflikte

Die Schweiz verpflichtet sich laut Fact Sheet zu einer «ausgebauten» Zusammenarbeit bei Sanktionen und Exportkontrollen. Das klingt technokratisch – ist aber ein politischer Dammbruch.

Trumps Team erwartet, dass die Schweiz künftig bei US-Sanktionen mitzieht, inklusive Sekundärsanktionen gegen Drittstaaten. Das bedeutet konkret: Wenn Washington China, Iran oder wen auch immer ins Visier nimmt, steht Bern nicht mehr neutral zwischen den Fronten – sondern auf einer Seite der geopolitischen Auseinandersetzung.

Die Idee einer «immerwährenden Neutralität» wird damit ad absurdum geführt. Was nützt es, keine EU-Sanktionen zu übernehmen, wenn gleichzeitig US-Sanktionen quasi automatisiert werden?

2. Handelsbilanz als Druckmittel

Der Trump-Deal verpflichtet die Schweiz laut US-Fassung, ihr Handelsplus von über 38 Milliarden Franken bis 2028 auf null zu bringen. Ein unrealistisches Ziel – aber ein mächtiges Druckinstrument.

Denn ein Land, das wirtschaftlich abhängig ist, hat es schwer, politisch neutral zu bleiben. Wer weiss, welche «Investitionsanreize» oder «geeigneten Massnahmen» Washington künftig einfordert, wenn diese Zahl nicht erfüllt wird?

3. Kein Raum mehr für eigene Gesetzgebung

Das Verbot von Digitalsteuern, wie im Fact Sheet festgeschrieben, zeigt: Die Schweiz soll nicht nur wirtschaftlich enger angebunden werden, sondern auch regulatorisch. Nationales Recht wird zur verhandelbaren Masse – und damit zur Hebelwirkung für geopolitische Forderungen.

Neutralität als Kollateralschaden eines vermeintlichen Erfolgs

Die Reduktion des Zollsatzes auf 15 Prozent wird als Triumph verkauft. Doch diese Zahl ist ein Feigenblatt. Dahinter verbergen sich Verpflichtungen, die den Kern der Schweizer Staatsdoktrin treffen.

Hayek kritisiert die Bücklinge der Schweizer Wirtschaftselite. Doch was hier stattfindet, ist weit mehr als mangelndes Selbstbewusstsein: Es ist eine Selbstentkernung der Neutralität, bevor überhaupt die nächste Sanktionsrunde aus Washington beginnt. Die Schweiz kann nicht gleichzeitig neutrale Vermittlerin, wirtschaftlich erpressbarer Handelspartner und Sanktionsvollstrecker einer Weltmacht sein.

Wenn die USA künftig Sanktionen gegen China ausrufen – und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Trump oder seine Berater das tun – wird die Schweiz in ein strategisches Dilemma gezwungen:
Neutral bleiben und riskieren, den USA zu missfallen? Oder mitziehen und sich im Konflikt gegen eine der grössten Wirtschaftsmächte positionieren?

Neutralität ist dann keine Option mehr – sondern ein Kostenfaktor.

Die offene Warnung

Die Trump-Administration hat ihre Erwartungen glasklar formuliert. Die Schweiz hat sie – freiwillig oder aus Angst vor höheren Zöllen – akzeptiert.

Doch was steht am Ende dieses Wegs? Ein Land, das einst als unparteiischer Vermittler geachtet war, könnte plötzlich selbst Teil der Sanktionierungsmechanik werden. Eine Schweiz, die fremde Konflikte mitträgt. Eine Neutralität, die nur noch im Geschichtsbuch existiert.

Die Frage lautet nicht mehr, ob der Trump-Deal die Neutralität gefährdet – sondern wie schnell sie durch ihn erodiert.

Die Schweizer Politik muss entscheiden, ob sie das düstere Szenario akzeptiert. Oder endlich die rote Linie zieht, bevor sie im politischen Alltag verwischt wird.

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