Angriff auf Österreichs Neutralität: Widerstand breit aufgestellt

Die immerwährende Neutralität ist Teil der österreichischen Identität und war immer unbestritten. Mit dem Ukraine-Krieg sind nun Stimmen laut geworden, die die Neutralität zugunsten eines Anschlusses an die NATO und an die militärischen Strukturen der EU zur Disposition stellen möchten. Dagegen hat sich in Österreich ein breiter Widerstand formiert von den Linken über die Mitte bis zu den Konservativen.

Im März 1938 wurde Österreich nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht an das Deutsche Reich angeschlossen, wo es bis zum Sieg der Alliierten über das nationalsozialistische Deutschland verblieb. 1945 wurde Österreich von den vier alliierten Siegermächten Sowjetunion, England, USA und Frankreich in vier Besatzungszonen aufgeteilt und eine provisorische Staatsregierung unter dem Vorsitz des Sozialdemokraten Karl Renner eingesetzt. Die ehemalige Verfassung der 1. österreichischen Republik von 1920, leicht abgeändert 1929, wurde Grundlage der 2. Republik, die ab Ende 1945 von einer demokratisch gewählten Regierung verwaltet wurde, aber weiterhin besetzt war.[1]

Zur Entstehung der Neutralität

Österreich verdankt seine Neutralität dem Zustandekommen des österreichischen Staatsvertrages, mit dem die Siegermächte die 2. Republik 1955 in die staatliche Unabhängigkeit entlassen und die Viermächtebesetzung beendet haben.

Im Laufe der Verhandlungen zwischen den Siegermächten zum Staatsvertrag für die 2. Republik erklärte der sowjetische Außenminister Molotow an der Berliner Außenministerkonferenz am 12. Februar 1954, die UdSSR wünsche, die Neutralität Österreichs im Staatsvertragsentwurf zu verankern. Am 16. Februar 1955 erklärte der damalige österreichische Außenminister Leopold Figl, «dass Österreich alles tun wird, um sich von fremden militärischen Einflüssen freizuhalten, und dass wir auch fremden Mächten keine militärischen Basen zugestehen werden. Wir halten es mit dieser Auffassung unvereinbar, uns durch den Abschluss des Staatsvertrages zu verpflichten, fremden Mächten militärische Stützpunkte auf österreichischem Gebiet einzuräumen.»[2]

Der Staatsvertrag verbot Österreich einen Anschluss an Deutschland, was schon Bestandteil des Versailler Vertrages von 1918 gewesen war. Die Neutralität wurde im Vertrag nicht erwähnt, sondern nur konkret umschrieben.

Da die Sowjets befürchteten, dass die anderen Siegermächte Österreich vereinnahmen würden, war für die UdSSR die immerwährende Neutralität Österreichs Vorbedingung für ihre Unterschrift im Staatsvertrag, mit dem Österreich in die Unabhängigkeit entlassen werden sollte. In Verhandlungen mit den Sowjets verpflichteten sich die österreichischen Abgesandten 1955 mit dem Moskauer Memorandum wie folgt: «1.) Im Sinne der von Österreich bereits auf der Konferenz von Berlin im Jahre 1954 abgegebenen Erklärung, keinen militärischen Bündnissen beizutreten und militärische Stützpunkte auf seinem Gebiet nicht zuzulassen, wird die österreichische Bundesregierung eine Deklaration in einer Form abgeben, die Österreich international dazu verpflichtet, immerwährend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird.»[3]

Am 15. Mai 1955 wurde dann der Staatsvertrag von den Siegermächten und dem österreichischen Außenminister unterzeichnet. Mit dem von der österreichischen Regierung erlassenen Bundesgesetz über die immerwährende Neutralität wurde die 2. Republik am 5. November 1955 neutral.

 «Art I

  • Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.
  • Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen.

Art II

Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die Bundesregierung betraut.»[4]

Ukraine-Krieg

Bis zum Ukrainekrieg war die Neutralität eine unbestrittene Selbstverständlichkeit für Österreich, auch wenn die Neutralitätspolitik immer wieder kontrovers diskutiert worden ist, so im Zusammenhang mit dem Ungarnaufstand von 1956 oder mit dem Beitritt zur UNO und zur EU.

Im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg wurden nun Stimmen lauter, die eine Abkehr von der Neutralität und einen Anschluss an die NATO und die EU ins Auge fassten, eine Diskussion, die seither in Österreich stärker geführt wird.

In der österreichischen Bevölkerung identifiziert man sich jedoch großmehrheitlich mit der Neutralität. In einer Umfrage bejahten 2024 74 % der Befragten, dass Österreich an der Neutralität festhalten solle. Lediglich 14 % der Befragten wünschten einen Anschluss an die NATO.[5]

Zur heutigen österreichischen Regierung und ihrer Haltung zur Neutralität

Seit dem 3. März 2025 hat Österreich eine neue Koalitionsregierung bestehend aus der österreichischen Volkspartei (ÖVP) mit 51 Mandaten, der sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) mit 41 Mandaten und NEOS (Das Neue Österreich und Liberales Forum) mit 18 Mandaten. Die Freiheitliche Partei Österreichs FPÖ mit 57 Mandaten ist nicht in der Regierung vertreten.

Bundeskanzler Christian Stocker von der ÖVP sprach sich in einem Interview klar für die Neutralität aus: «Der NATO-Beitritt ist kein Thema in Österreich.» Die österreichische Hauptstadt werde «auch in Zukunft als Verhandlungsort für internationale Fragen» zur Verfügung stehen, so auch im Falle des Ukraine-Krieges.[6] Der SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer sagte diesen Frühling: «Neutralität ist keine Nostalgie – sie ist unser Kompass (…) Wer die Neutralität heute infrage stellt, hat den Kern unserer sicherheitspolitischen Identität nicht verstanden (…)  Neutralität ist kein Spielball – sie ist Staatsprinzip.»[7]

Beate Meinl-Reisinger, Parteichefin der NEOS, ist Außenministerin. Während ÖVP und SPÖ nach wie vor auf der Neutralität bestehen, hat Außenministerin Meinl-Reisinger, die auch Parteichefin der NEOS[8] ist, offensichtlich die Rolle übernommen, die österreichische Öffentlichkeit scheibchenweise à la Salamitaktik daran zu gewöhnen, die Neutralität aufzugeben und näher an die NATO heranzurücken, wie in einem Interview in Die Welt durchschimmert. Auf die Frage, ob die Außenministerin einen Beitritt von Österreich zur NATO befürworte, antwortete sie, Neutralität alleine schütze Osterreich nicht. Angesichts der unsicheren Weltlage und «eines zunehmend aggressiven Russland» sei es sinnvoll, sowohl in die Landesverteidigung wie «auch in Partnerschaften» zu investieren. Für «eine öffentliche Debatte über die sicherheits- und verteidigungspolitische Zukunft» des Landes sei sie «grundsätzlich sehr offen».[9]  Auch bei ihrem Besuch in den USA äußerte sie sich ähnlich.

Nachtigall, ick hör dir trapsen…, mit der österreichischen Neutralität auf den Müllhaufen der Geschichte und mit der österreichischen Armee strammstehen vor dem Oberbefehlshaber der NATO (Supreme Allied Commander Europe (Saceur), dem US-amerikanischen Generalleutnant Alexus Grynkewich?[10]

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die FPÖ, die noch klarer und deutlicher für die österreichische Neutralität einsteht als SPÖ und ÖVP – und mit 57 Mandaten stärkste Parlamentspartei ist -, nicht in der Regierung vertreten ist. Bereits 2023 hatte Herbert Kickl, Bundesparteiobmann der FPÖ, der damaligen Regierung unter Bundeskanzler Nehammer vorgeworfen, sie würde mit dem Beitritt zum Bündnis «European Sky Shield» die Neutralität auf dem Altar der NATO opfern und riskiere einen Krieg mit Russland.[11] Am 7. Juli 2023 reichte die FPÖ damals beim österreichischen Nationalrat einen Entschließungsantrag ein, mit dem ein «Nein zum Militärbündnis ‚Sky Shield‘ – Ja zur Neutralität» gefordert wurde.[12] Es stellt sich in der Tat die Frage, wessen Interessen eigentlich bedient worden sind, wenn heute statt der FPÖ die NEOS in der Regierung sitzt? Und dazu noch in einer Schlüsselstellung…

Widerstand in Österreich gegen den Angriff auf die Neutralität

Allerdings scheint es in Österreich offensichtlich nicht so einfach zu sein, die Bevölkerung am Narrenseil zu führen. Schnell wurde erkannt, wohin die Reise mit der NEOS-Außenministerin geht. So haben die Friedensorganisationen «Stimmen für Neutralität!» und «Dialog-Forum Neutralität Österreich» gegen die Pläne der Außenministerin geharnischten Widerspruch eingelegt unter dem Titel «Die Neutralität schützt Österreich!» Die Außenministerin liege «vollkommen auf dem EU-Kriegskurs», der gegen Russland gerichtet sei «und der die EU und Österreich politisch, wirtschaftlich und sozial in ungeahnte Krisen führen wird.» Österreich dürfe kein Transitkorridor für Militär- und Waffentransporte werden. «Weder auf der Straße, auf Schienen, in der Luft, oder auf dem Wasserweg (Donau). (…)

Wir fordern:

  • Die sofortige und unmissverständliche Absage an jedwede NATO-Anbindung Österreichs durch den Bundespräsidenten, wie auch durch die Bundesregierung.
  • Sofortiger Stopp der NATO-Waffentransporte durch Österreich!
  • Für das Ende der Sanktionen gegen Russland.»
  •  

Für den 18. Oktober 2025 rufen die beiden Organisationen zu einer Friedensdemonstration in Wien auf.[13]

Auch die Friedensorganisation «ABFANG, das Aktionsbündnis für Frieden, aktive Neutralität und Gewaltfreiheit», die sich an Bertha von Suttner orientiert, setzt sich für eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik ein. «Mit dem Blick auf die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft kann Österreich so zu einem Modell werden, das im eigenen Land und weltweit einen wegweisenden Beitrag für gewaltfreie Konfliktlösung, zum Schutz der Menschenrechte in allen Lebens- und Arbeitsbereichen, für größere Gerechtigkeit und sozialen Frieden zu leisten vermag», so im Positionspapier von ABFANG.[14]

Die überparteiliche Initiative «Engagierte Neutralität» setzt sich ein, um die Neutralität in Österreich zu stärken. Mit einem eindrücklichen Appell wandte sich die Organisation «an die Bundesregierung und das Parlament, die immerwährende Neutralität zu wahren und für eine engagierte Friedenspolitik zu nutzen». Unter anderem veranstaltete sie vor einem Jahr in Vorarlberg ein Österreichisch-Schweizerisches Symposium zum Thema «Engagiert Neutral – Sicherheit oder Risiko» an dem neben Willy Wimmer auch der Präsident der Schweizer Offiziersgesellschaft teilgenommen hat.[15]

Auch «Unsere Neutralität = unsere Sicherheit» setzt sich ein für die Neutralität. Auf ihrer Webseite finden sich zahlreiche Links zu interessanten Friedensthemen und Veranstaltungen.[16]

Eine weitere Organisation, die die Neutralität unterstützt und eine Anlehnung an die NATO ablehnt, ist «Sebö selbstbestimmtes Österreich Für eine demokratische, soziale und ökologische Opposition!»[17]

Auch die politische Initiative «Neutrales Freies Österreich (NFÖ)» hat zum Ziel, Österreich souverän, neutral und demokratisch zu erhalten.[18]

Die «Solidarwerkstatt» ist eine «antimilitaristische Initiative» und «eine EU-oppositionelle Initiative», die sich «für ein aktiv neutrales Österreich» und für «eine solidarische Gesellschaft» einsetzt.[19] Auf ihrer Webseite finden sich aktuelle Artikel zu interessanten Themen sowie zu aktuellen Veranstaltungen.

Der Widerstand gegen die Zerstörung der Neutralität ist breit aufgestellt und rührig. Er reicht von den Friedensorganisationen über die Linken und über die Mitte bis zu den Konservativen. Sie durchschauen das Spiel der NEOS, die mit ihrer Anbiederung an NATO und EU wie ein von außen eingesetzten Fremdkörpern wirken, ein Eindruck, der sich beim Lesen der Webseite der NEOS noch verstärkt.


[1] https://www.oesterreich.com/de/staat/geschichte/zweite-republik

[2] Leopold Figl, in: Katrin Scheir, Die historische Entwicklung des Konzeptes der Neutralität in Österreich, Johannes Kepler Universität Linz, Oktober 2022.

[3] https://www.unesco.at/kommunikation/dokumentenerbe/memory-of-austria/verzeichnis/detail/article/moskauer-memorandum-1955

[4] https://www.verfassungen.at/at45-/bvgneutral55.htm

[5] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1096513/umfrage/neutralitaet-vs-NATO-beitritt-in-oesterreich/

[6] https://www.euractiv.de/section/politics/interview/interview-austrian-chancellor-says-nein-to-NATO-but-is-eager-for-french-nuclear-protection/

[7] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20250512_OTS0043/spoe-laimer-neutralitaet-ist-keine-nostalgie-sie-ist-unser-kompass

[8]

[9]  https://www.welt.de/politik/ausland/article68834e7c0e680a76f4e95342/oesterreichs-aussenministerin-irgendwann-tuermen-sich-die-saerge-in-russland.html

[10] Der Supreme Allied Commander Europe (Saceur) ist nach dem NATO-Generalsekretär die wichtigste Person in der NATO. Er macht die militärische Einsatzplanung, entscheidet über militärische Operationen und kann die entsprechenden Soldaten „im Rahmen der politisch genehmigten Befugnisse und auf Anweisung des Militärausschusses bei den NATO-Mitgliedstaaten anfordern“. https://www.swissinfo.ch/ger/us-general-übernimmt-oberbefehl-über-NATO-streitkräfte/89633828

[11] https://www.srf.ch/news/international/NATO-luftverteidigung-oesterreich-will-zu-sky-shield

[12] Entschließungsantrag

 Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, von weiteren Schritten zur Teilnahme am Militärbündnis „Sky Shield“ Abstand zu nehmen und stattdessen eine aktive Neutralitätspolitik auf EU- und internationaler Ebene umzusetzen.“ https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/A/3530/fnameorig_1575293.html

[13] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20250730_OTS0009/die-neutralitaet-schuetzt-oesterreich

[14] https://abfang.org/ueber-uns/

[15] Texte, Folien und Videolinks zu den Vorträgen finden sich unter https://engagiertneutral.at/symposium-vorarlberg

[16] http://unsere-neutralität.at

[17] https://www.selbstbestimmtes-oesterreich.at

[18] https://nfoe.at

[19] https://www.solidarwerkstatt.at

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