Die digitale Abhängigkeit von Tech-Konzernen macht die Neutralität illusorisch

Die Schweiz soll mit digitaler Resilienz die Neutralität zukunftsfähig machen, fordert Hicheme Lehmici, Dozent für internationale Beziehungen am SWISS UMEF in Genf.

Der Artikel «La neutralité suisse à lssépreuve du numérique» auf der Plattform Antithèse (vormals bon pur la tête) untersucht, wie die traditionelle Schweizer Neutralität durch digitale Abhängigkeiten gefährdet wird.

Historisch definiert als Abstinenz von militärischen Konflikten – basierend auf der Souveränität und Artikel 2.1 der UN-Charta –, reicht diese Definition heute nicht mehr aus, schreibt der Autor Hicheme Lehmici.

In der Ära des Cyberspace, globaler Plattformen und militarisierter KI verliere ein Staat seine Unabhängigkeit, wenn Daten, Kommunikation und Algorithmen von ausländischen Mächten kontrolliert werden.

Die Neutralität schützt vor direkter oder indirekter Kriegsbeteiligung, doch digitale Realitäten veränderten dies grundlegend. Physische Grenzen seien irrelevant, wenn über 95 % des globalen Datenverkehrs durch Unterseekabel von US-Konzernen wie Google, Meta, Amazon oder Microsoft laufen.

Die Tech-Konzerne unterliegen extraterritorialen US-Gesetzen (z. B. Patriot Act, CLOUD Act), die Datenzugriffe auch auf ausländische Server ermöglichen. Edward Snowdens Enthüllungen von 2013 zeigten die globale Überwachung durch US-Geheimdienste, die auf solchen Infrastrukturen basiert.

Herausforderungen für die Schweiz: Die Schweiz, stolz auf ihre Neutralität, stehe vor neuen Gefährdungen, schreibt Lehmici: Abhängigkeit von ausländischen Clouds und Algorithmen und Anfälligkeit für Cyberangriffe, Desinformation oder indirekte Einflussnahme.

Ein Staat, dessen Daten im Ausland gespeichert sind oder dessen Öffentlichkeit von transatlantischen Algorithmen manipuliert werde, verliere Souveränität – auch ohne formelle Allianzen. Die Militarisierung der KI verstärkt dies: Autonome Systeme könnten Konflikte eskalieren, ohne klare Zuschreibbarkeit.

Hicheme Lehmici argumentiert, dass Neutralität nun digitale Unabhängigkeit erfordert. Beispiele: US-Tech-Riesen zwingen zur Datenfreigabe, was Schweizer Firmen und Behörden exponiert. Globale Plattformen beeinflussen Wahlen und Meinungen, ohne Souveränitätsrespekt. Die Schweiz riskiere, in die Spannungen zwischen den USA und China hineingezogen zu werden.

Zur Bewahrung der Neutralität plädiert der Artikel für eine «echte digitale Souveränität»: Investitionen in eigene Infrastruktur (z. B. Schweizer Clouds), strengere Datenschutzgesetze und Diversifikation von Tech-Partnern. Die Schweiz solle ihre Neutralität als Marke nutzen, um unabhängige Tech-Standards zu setzen – ähnlich wie beim Bankgeheimnis oder der humanitärer Hilfe. Ohne dies droht eine «Schattenabhängigkeit», die die Neutralität illusorisch macht. Für die Schweiz sei dies eine Chance, Vorreiter zu werden.

Ganzer Artikel (Abo, auf französisch)


Hicheme Lehmici/antithese: La neutralité suisse à lssépreuve du numérique. 17.10.2025

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